Hartmut R. und die Resonanz

Hartmut R. ist mir schon einige Zeit ein Begriff als alter weißer Mann mit merkwürdigem Vornamen und einem sehr speziellen Lieblingsfremdwort.

Er begegnet einem in Deutsch-Lesebüchern für die Sek II (was an sich noch nichts Ehrenrühriges ist) im Kapitel über „Romantik“, und dort fällt dann das Wort „Resonanz“, und das ist Hartmut Rosas Steckenpferd. Schlegel, Novalis und Konsorten haben sich die Romantik ausgedacht: Ziel aller Poesie ist es, einen Einklang zwischen der Welt und dem Ich herzustellen. Es soll etwas in mir schwingen, wenn ich mich ins Verhältnis zur Welt setze. Die Romantiker hatten mitbekommen, dass es in der modernen Welt so etwas wie Entfremdung gibt, ohne indes diesen Begriff schon auf dem Schirm zu haben. Am populärsten ausgedrückt hat Eichendorff dies Gegenprogramm zur betrüblichen Gegenwart:

Schläft ein Lied in allen Dingen
die da träumen fort und fort,
und die Welt hebt an zu singen,
triffst du nur das Zauberwort.

Und nun kommt Rosa um die Ecke. Er könnte diese Verse auch geschrieben haben, bei ihm klingt es berufsbedingt etwas anders. Resonanz ist möglich und erstrebenswert, so findet er jedenfalls, und das ist sicherlich eine richtige Idee. Rosa hat sich nachgerade in das Konzept verliebt und ein Lebenswerk daraus gebastelt, Bücher und Aufsätze dazu geschrieben und vor allem einen dicken Band für suhrkamp taschenbuch wissenschafft (750 Seiten stark). Den habe ich mir gekauft, denn ich wollte der Sache auf den Grund gehen und für Schüler:innen auskunftsfähig sein, zumal Rosa selber für sich reklamiert, die Kritische Theorie (Adorno & Friends) fortzuentwickeln. Was ich ein lohnenswertes Ziel finde.

Rosa formuliert unterhaltsam, ist ungeheuer belesen, und ich habe selten ein Buch mit so vielen ausgezeichneten Zitaten vor der Nase gehabt. Allein deshalb lohnt sich das Werk. (So wie Freuds „Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ zwar theoretisch Unfug ist, aber massenhaft gute Witze bietet, die dankenswerterweise kursiv gedruckt sind. Oder so, wie in Grass‘ „Butt“ viele brauchbare Rezepte stehen.)

Das Buch wird aber auf die Länge unerträglich. Rosa ist nämlich jemand, der als Werkzeug nur einen Hammer hat und dem nun alles wie ein Nagel vorkommt. Er schmeißt alles in die „Resonanz“-Kiste, und das klingt auch gut und elegant. Und wer wäre nicht für Resonanzerfahrungen, also die Erfahrung, dass man mit der Welt in Beziehung steht? Das Problem ist nur, dass der Begriff damit wertlos ist, weil alles damit erklärt wird. Neulich fand sich ein Interview mit ihm auf dem Deutschlandfunk, in dem er zu seinen neuen Buch mit der umwerfend modernen These „Demokratie braucht Religion“ befragt wurde. Hört euch an, wie oft Rosa in dem Interview das Wort „Resonanz“ sagt! Das ist schon stilistisch ein No-go, aber auch inhaltlich. Denn Rosa schnurrt Religion auf – man ahnt es! – „Resonanz“ herunter. Ein Passepartout-Begriff, der für alles hergenommen wird, kann nur einen Inhalt haben: Eine ungeheure Banalität.

Und das ist hier der Fall.

Rosa hat unter anderem auch Lebenshilfe-Bücher geschrieben voll praktischer Resonanzphilosophie, und es mag ihm gegönnt sein, damit Geld zu verdienen. Aber gerade für einen Soziologen, der eigentlich gesellschaftliche Zusammenhänge erforschen soll, ist es peinlich. Er behauptet zwar, damit soziale Phänomene abzubilden, tut es aber mitnichten. Alles, was er verkauft, ist individualistische Küchenphilosophie. Es handelt sich um nichts anderes als um syntaktisch und terminologisch aufgebrezelte Kalendersprüche, die man auf Facebook oder Insta oder Postkarten von ästhetisch zweifelhafter Qualität findet.

Wenn er das Thema wirklich angehen wollte, und wenn er tatsächlich ein würdiger Nachfahre von Adorno und Horkheimer sein wollte, müsste er eher zeigen, welche gesellschaftlichen Mechanismen im Kapitalismus und in der Postdemokratie daran werkeln, den Menschen die Erfahrung der „Selbstwirksamkeit“ zu nehmen, damit sie schön brav bleiben. Und wie sich langsam zeigt, dass das auf lange Sicht schiefgeht und nur dazu führt, dass Wutbürger ihre Stunde wittern und sonderbare Menschen wählen.

Heinrich Heine ist dem Problem bereits in seinem „Buch der Lieder“ Mitte der 20er-Jahre des 19. Jahrhunderts auf den Grund gegangen und hat die Romantik knallhart in den Orkus befördert:

Fragen

Am Meer, am wüsten, nächtlichen Meer
Steht ein Jüngling-Mann,
Die Brust voller Wehmut, das Haupt voll Zweifel,
Und mit düstern Lippen fragt er die Wogen:

„O löst mir das Rätsel des Lebens,
Das qualvoll uralte Rätsel,
Worüber schon manche Häupter gegrübelt,
Häupter in Hieroglyphenmützen.
Häupter im Turban und schwarzem Barett,
Perückenhäupter und tausend andre
Arme, schwitzende Menschenhäupter –
Sagt mir, was bedeutet der Mensch?
Woher ist er kommen? Wo geht er hin?
Wer wohnt dort oben auf goldenen Sternen?“

Es murmeln die Wogen ihr ewges Gemurmel,
Es wehet der Wind, es fliehen die Wolken,
Es blinken die Sterne, gleichgültig und kalt,
Und ein Narr wartet auf Antwort.

(Buch der Lieder, Die Nordsee – Zweiter Zyklus)

So etwas ist ehrlich, und am Ende von diesem Nihilismus wartet der Kampf für eine bessere Welt. Noch Fragen?

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