Sprüche in Bergwerken

Sibylle Berg: Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot

bergwerke2Ich finde, man darf kein Deutsch-Abitur bekommen, wenn man Sibylle Berg nicht gelesen hat. Keine sagt so direkt, was heutzutage Sache ist. Wer das nicht kapiert, ist mal speziell blöd.

Zur Einnerung an eines der lustigsten Projekte im Deutschunterricht ever: Wir haben im Deutsch-Leistungskurs zum Abschluss dieses Berg-Werk durchflöht nach hilfreichen, edlen und guten Wahrheiten. Und wir haben einen Haufen coole Berg-Sprüche gefunden, die man aber besser nicht liest, wenn man noch Illusionen hat. Dann soll man zum Arzt gehen.

  • Wenn auf der Welt nichts mehr lebt, werden die Ampeln immer noch tun, als wär alles in Ordnung. (S. 11)
  • Zusammenschlafen mit dem Gefühl, das ist das letztemal. Und das bringt ja nun mal gar keine Nähe. Das bringt wirklich gar nichts. (S. 11)
  • Und jetzt bin ich alt und weiß gar nicht, wie es so schnell dazu kommen konnte. (S. 13)
  • Der Himmel ist ein Verräter und einen Gott gibt es nicht. (S. 17)
  • Ich weiß nicht, was ich mit Geld soll, außer es zu vertrinken. Nein, ich nehm das Geld, weil es konsequent ist. Wenn ich schon nichts anderes hinkriege, dann will ich wenigstens konsequent Scheiße bauen. (S. 22)
  • Manchmal denke ich, es wäre total gut, an irgendwas glauben zu können. An eine politische Idee oder so. Aber heute glaubt kaum wer noch was. (S. 24)
  • In der Bar sind so Menschen. Eine Versammlung anonymer Autisten. Die stehen am Tresen und sind schön. (S. 29)
  • Und die Jungen kommen rein wie zum Kämpfen. Die Beine breit, als wären da Muskeln, die ein Zusammentreffen des Fleisches verhindern. (S. 29)
  • Ich glaube aber, es ist schon O. K., nicht blond zu sein und dauernd lachen zu müssen. (S. 30)
  • Frauen, all diese armen Frauen, die glauben, neue Sachen würden irgend etwas an ihrer Unfähigkeit, sich am Morgen für eine Anziehsache zu entscheiden, ändern. (S. 33)
  • Ich liege in meinem Bett und glaube, ich werde morgen ein neues Leben anfangen. Echt. Ich glaub, ich mach das. (S. 37)
  • Ich weiß nicht, warum alle Männer Musik machen wollen. Ich weiß sowieso nicht, warum Männer immer was machen wollen. (S. 38)
  • Und da liegt die Armprothese. Ich guck die an, und mir wird ganz romantisch, ich meine, das ist ein Teil von meinem Geliebten, das da auf meinem Nachttisch liegt. (S. 41)
  • Wir sind die Generation der Beschissenen. Ich weiß nicht von wem und um was. Vielleicht weil sie uns die Unschuld genommen haben. Den Glauben an einen Sinn. Vielleicht ist die Wissenschaft schuld oder irgendein Bankangestellter, der in seiner Freizeit Versuche macht. (S. 45)
  • Ich bin verliebt, und es tröstet mich nicht zu wissen, dass es sich um einen chemischen Vorgang handelt. (S. 45)
  • Ich bin auch nicht allzu schlau. Gerade mal so schlau, dass ich ziemlich viel erkenne. Aber nicht schlau genug, um mit den Erkenntnissen was anzufangen. (S. 58)
  • Nora ist außen voller schneller Bilder. Voll Musik. Und innen ist sie aus Eis. (S. 66)
  • Wenn ein Mann von Liebe spricht, dann meint er Begehren, dann meint er Geschlechtsverkehr und Orgasmus. Wenn eine Frau von Liebe spricht, dann meint sie Seele und Verschmelzen, dann meint sie alt werden und reden und anfassen ohne Ende und Symbiose. (S. 67)
  • Wir verstanden uns, wie Mann und Frau immer – nicht. (S. 70)
  • Aber Reden macht Wirklichkeit. (S. 76)
  • Nimmt das Gefühl, das noch ganz dünn ist aus dem Bauch heraus, wickelt Worte darum, um es anzufassen, hebt es mit den Worten aus dem Bauch raus. Ans Licht. Aber eben, das Gefühl ist noch so dünn und hat Angst vor dem Tag, und die Worte bilden Lücken. Durch die rutscht das Gefühl, fällt auf den Boden. Und nur die Worte sind übrig, leer und stehen im Raum. Sagen nichts. (S. 78)
  • Die Menschen in Krankenhäusern sind zum größten Teil hässlich. Gar nicht, weil sie krank sind, sondern weil ein repräsentativer Bevölkerungsprozentsatz in Krankenhäusern liegt und diese Prozente eben hässlich sind. (S. 80)
  • Helge wünschte, er hätte ein ordentliches Problem. Eine Krankheit, einen Ruin, einen Menschen der ihn betrogen hat. Und nicht so eine Problemsoße, wie er hat. (S. 84)
  • Du schaust dir nochmal dein Gesicht an. Wem das gehört, ist egal. (S. 86)
  • Egal, immer gaukeln Fetische dem Besitzer etwas vor und verleiten ihn zur Verantwortungsabgabe. Sie bringen Millionen Menschen dazu, hässliche Stofftiere, blöde Ketten und ausgetretene Stiefel von einem Ort zum anderen zu schleppen, Jungfrauen zu opfern und Kriege zu führen. Und all die Fetische lachen leise über unsere Dummheit. Guckt mal die Menschen an, kichern sie, die schleppen uns rum, umtanzen uns und verehren uns nur, um sich einzureden, dass sie nicht allein sind, auf dieser Welt, und daß sie Glück haben. Und wissen doch nicht, daß sie immer allein sind und Glück eine Illusion ist. (S. 89)
  • Das Schicksal lässt sich nicht durch Schafe bestechen, das ist die Wahrheit. (S. 89)
  • Und mit jedem Wort, das ich schreibe, formuliere ich ein Stück Lüge. (S. 91)
  • Lesen ist eine legitime Zeitrumbringung. (S. 97)
  • Die richtig Schlauen haben erkannt, dass Langeweile der Normalzustand des nicht schwer arbeitenden Menschen ist. (S. 99)
  • Mit Warhol großgeworden, mit Mapplethorpe, und eure Eltern haben alle Juden im Keller versteckt, ihr Arschgesichter. (S. 104)
  • Ein gemeinsames Leben bedeutet der Kuss für Nora. Nie mehr allein sein. Jemand haben für mich allein. Für Tom bedeutet der Kuss den ersten Schritt zum Sex. (S. 105)
  • Neben mir lag eine Rothaarige. Frag mich nicht. Ich hasse Rothaarige. Also ich meine jetzt die, die das extra machen. Die sind entweder auf nem ekligen Ökotrip und jung. Oder wollen endlich ihre Weiblichkeit entdecken und sind alt. (S. 117)
  • Niemand sollte über seine Zukunft nachdenken. Es ist vermessen zu glauben, man könnte die beeinflussen oder planen. Durch nichts kann man das und durch Denken mal gleich am allerwenigsten. (S. 126)
  • Ich will keine andere Frau, denn eine andere Frau, das ist nur ein anderes Problem. (S. 127)
  • Dann liegt sie mit Tom in diesem Straßengraben, irgendwo im Niemandsland, zwischen Scheiße und Papierfetzen, und beide sind ein bißchen froh. Und traurig, weil Liebe oder die Sache hinter dem blöden Wort so schwer ist. (S. 130)
  • Sie haben uns alle Probleme genommen, sie haben alle Sorgen genommen, bis nur noch wir übriggeblieben sind. (S. 131)
  • Die meisten Tiere fragen sich nicht andauernd, was sie mit ihrem Leben anstellen sollen. Ich würde sehr gerne mal mit einigen befreundeten Tieren über dieses Thema reden. (S. 143)
  • Ich liebe den Mann. Der Mann liebt mich nicht. Ich glaube, diese Geschichte ist ganz schön alt. Da sind schon ganz andere dran gestorben. (S. 145)
  • Du wartest, dass die Liebe kommt. Ich kann dir eins sagen: Die wird nicht kommen. (S. 147)
  • Vielleicht ist die Liebe die letzte Idee in diesem Jahrtausend. Das Letzte, was wir noch nicht hingekriegt haben. Etwas zum dran glauben. (S. 154)
  • Ich habe kein Zuhause. Das wäre, wo das Herz ist, und das liegt zertreten an irgendeinem Flughafen. (S. 161)
  • Die Frauen, die du im Orient haben kannst, holst du dir in Diskos. Sie sind warm und rund. Allerdings ein bisschen wie eine Zeitung im Bett. (S. 163)
  • Was haben wir von unserem ganzen tollen Leben, von unseren spannenden Berufen, wenn wir uns mit niemandem darüber freuen können. (S. 170)
  • Ich träume von nichts. Nicht von Liebe oder von Reichtum, Ruhm oder Unsterblichkeit. Das sind Sachen, die egal sind. Wenn ich sterbe sind die egal. Da zählt nur, wie viele Momente ich hatte, wie diesen am Fenster. (S. 172)
  • Die Italiener fahren wie Arschlöcher. Arschlöcher mit schwerwiegenden Potenzproblemen. (S. 173)
  • Als Bettina später dann noch mal in mein Zimmer kommt, schlafe ich mit ihr. Aber das ist O.K., weil ich ja weiß, dass ich Nora irgendwie liebe und ihr treu bin. Und daß es mir gar nichts bedeutet, mit Bettina zu schlafen. Das ist nur so wie massiert werden. (S. 174)
  • Und dann bog er um so eine Kurve und sah einen riesigen Laster auf seiner Spur. Der fuhr gar nicht. Der lag da und brannte, als ob er noch nie etwas anderes gemacht hätte. Und das merkte Tom, aber er merkte es irgendwie echt zu spät. Toms Kopf wurde wurde von den Feuerwehrleuten weitab der Straße gefunden. Sein Haar saß noch sehr gut. (S. 179)
  • Worum es geht, ist doch einfach nur, etwas zu lieben. Und wenn es Milchkaffee und Zigaretten sind. Es ist egal, was einer liebt. (S. 180)
  • Auf einem Boot fahren drei Särge vorbei. … Schön blöd, einfach so sterben. (S. 180)
  • Romantik ist Bullshit. (Aus einem Interview mit der Frankfurter Rundschau, 23.8.2009)

Seitenangaben nach der Ausgabe Reclam Leipzig 1997
Februar 2011, Dank an: J. Bukowsky, J. Dohn, A. L. Manzaris, S. Hoffmann

(Von der Seite der Kantschule rübergeholt am 14.10.2013)

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