Warum die ZEIT unleserlich ist

Ich habe mir wieder einmal vier Exemplare der ZEIT als Probeabo ins Haus liefern lassen. Ich kriege dauernd solche E-Mails mit Probeabo-Angeboten, da kann ich nicht widerstehen. Ich weiß sofort, dass ich diese Wochen-Postille nicht haben will, aber viermal für umme nehm ich sie doch. Könnte ja was Gutes drinstehen.

(Dass man hinterher diese dreisten automatischen Jahresabos abwehren muss, gehört eigentlich auch noch zur Geschichte, ist aber eher nur insofern interessant, als die Tante ZEIT mit miesen Drückerkolonnen vom DPV zusammenarbeitet.)
Stand aber nichts Gutes drin; stand nur das drin, was seit Jahrzehnten drinsteht, und mindestens ein halber Baumstamm wurde für mich getötet. Aber ich will es der Reihe nach erzählen.
Die ZEIT gehört zu meiner Kindheit und meiner Jugend. Meine Eltern hatten sie, mein Religionslehrer hatte sie (und er las sie wirklich durch, behauptete er wenigstens, vielleicht war es nicht gelogen; er ist heute Professor) und dies Zentralblatt der gutsituierten christlichen liberalen Bestmenschen enthielt die Wahrheit. Die Zeit war nicht DDR-Gänsefüßchen-konservativ wie Springer; sie war nicht unflätig und ungebührlich investigativ wie der SPIEGEL (Kinder, wie die Zeit vergeht; so war der SPIEGEL mal); sie stapelte die Wohlgesinntheit ins Haus. Man musste mindestens einen Hochschulabschluss haben, um sie zu verstehen (das gilt immer noch). Man musste für fairen Handel, Menschenrechte, Urwälder, Demokratie und Wolfram Siebecks Spargelkreationen sein, um sie zu lesen. Man musste gegen Fußpilz, die Kommunisten und die Ausbeutung von armen Frauen in Sweatshops sein und gegen das Elend Frankfurter Obdachloser zu Weihnachten, wenn man sie goutieren wollte. Und Andreas Kilb erklärte, welche Filme gut waren.
Und dann verging die Zeit und ich zog aus und verlor die ZEIT aus den Augen und kaufte sie manchmal am Kiosk und hatte Besseres zu tun. Ich verpasste so verstiegene Projekte wie dies Pseudo-Lexikon „ZEIT-WISSEN“ oder wie es auch immer heißt (und was jetzt für ein paar Cents bei Booklooker vertickt wird) oder auch die CD-Stapel mit Must-have-Musik à la Bildungsbürgertum. Ich vermisste nichts außer die Schachkolumne von Helmut Pfleger, die ich bei meinen seltenen Heimatbesuchen gleich stapelweise weglas. All die gefällten Bäume fanden sich immer noch im Wohnzimmer meiner Eltern, flankiert von Chrismon und später vom Manufaktum-Katalog. Man wählte SPD oder Grün und wusste sich auf der guten Seite des Lebens. Mir kam das immer merkwürdiger vor. Merkwürdig wie die Empfehlungen von Leo Spitzer am Ende seines Medienschelte-Buches nach dem billigen Motto: „Gehen Sie mit Ihrem Kind in ein gutes Konzert, statt es Zombies totschießen zu lassen.“
Irgendwann hatte der Westen über den Osten gesiegt und die sozialen Gräben vertieften sich und die Agenda 2010 spaltete das Land und der Prenzelberg wurde von reichen Familien überschwemmt. Die Biomärkte boomten und die SUV-Hersteller gleich mit, damit die Mamas (45 Kilo) mit ihren Blagen (2x circa 12 Kilo) mit zwei Tonnen Blech und Stahl zum Ökosupermarkt brettern konnten. Zu Hause lagen dann diese toten Bäume herum und irgendwann weiter hinten fand sich Werbung für exklusive Studienreisen nach Lateinamerika; Kostenpunkt: 6000 Euro. Pro Person.
Der Ober-Welterklärer Helmut Schmidt erklärte die Welt, legte auf einem Buch-Cover das Schachbrett falsch herum und wurde nach seinem Tod wochenlang und per Extraausgabe gelobgehudelt und zum Heiligen hochgejazzt. Er hatte keine Visionen, er konnte sich den Arzt sparen.

Die ZEIT jedoch, und jetzt kommt die Wahrheit, hatte sich von der Wirklichkeit der Menschen Lichtjahre entfernt. Sie staunt ab und zu, warum es sowas Böses wie Rechtspopulismus gibt, und sie tötet ganze Wälder, auf denen sie ihre Leitartikel druckt, aber sie kommt einfach nicht auf den Trichter, was der wahre Grund ist: Weil es katastrophal abgehobene Intelligenzblätter gibt wie sie selbst, die schon vor dem ersten Komma die Sprache der Menschen hinter sich gelassen haben und jene 80% der Bevölkerung, die diese Sprache nicht verstehen, einfach in den Orkus befördern und ihnen klipp und klar mitteilen, dass sie nichts mitzureden haben. Stattdessen zieht dies Blatt seine Kreise und filmt wie eine zu hoch fliegende Drohne die Niederungen der Menschen, deren Worte sie aber nicht mehr hört.
Die ZEIT ist unleserlich und kotzt mich an, weil sie das Flaggschiff des satten, liberalen, christlichen, reichen, wohlmeinenden westdeutschen Bildungsbürgertums ist, das Flüchtlinge auf dem Bahnhof willkommen heißt und deren Wohnheim im Wohngebiet zu verhindern weiß, das soziale Ungerechtigkeit ablehnt und keinen einzigen Hartzer mit Namen kennt.

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